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Schlicker Seespitze

Gewaltige Felsabstürze, annähernd um die 800m tief, kann man vom Kreuzjoch (Schlick) aus bestaunen, wenn man die Wände der Kalkkögel im Norden vor sich hat; der höchste Gipfel davon, auch der westlichste, ist die Schlicker Seespitze mit 2.808m Erhebung.

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Schlicker Seespitze 2.808m

Ein Gipfel der 1879 von Carl Gsaller, auf der noch heute als Normalweg bezeichneten Westflanke, erstbestiegen wurde und der jedem Besteiger – ob seiner ungemeinen Brüchigkeit – lang in Erinnerung bleibt.

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Der Abzweig am Seejöchl

Am Seejöchl nimmt man den, in der Hangneigung in Richtung der ersten nordwestlichen Türme am Fuße der Schlicker Seespitze zeigenden Steig, der sich nach wenigen Minuten sogleich weiter nach Osten wendet.
Anmerkung: die Längsachse der Kalkkögel ist südsüdwest/nordnordost ausgerichtet, also fast eine Nord/Südrichtung; als Einheimischer hat man von den Einblicken des Inntales aus allerdings eher den Eindruck, daß sie in Ost/West Richtung gerichtet wären

Nun geht es richtig zur Sache, es wird sehr brüchig und man schreitet einen  manchmal fast unkenntlichen Steig in konstant nordöstlicher Richtung empor:

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so beginnt der Aufstieg

Üppige Markierung erleichtert dem verdutzten Bergsteiger den Anstieg. Verdutzt ist man jedenfalls, denn man würde von diesen kühnen, senkrecht hoch emporragenden Felsgiganten niemals einen solch brüchigen und schuttdurchsetzten ersten Teil des Aufstieges, mit sehr wenig festem Fels unter den Füßen erwarten.

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der untere Steig in einer einzigen Richtung bis zur Scharte, das Steinschlagrisiko wird dadurch weitgehend abgemindert

Konstant geht es in nordöstlicher Richtung empor bis zur sichtbaren Scharte. Der Aufstieg ist mühsam und auch nicht ganz ungefährlich bei hochfrequenter Begehung, jedoch muß man einräumen, daß durch die Anlegung des Steiges viel Risiko weggenommen wird. Steine und Geröll, vom Absteigenden losgetreten sind – bis zur Scharte auf nahezu 2.700m – nicht in der Falllinie des Aufsteigenden.

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Ab der Scharte wird die Felsqualität auch deutlich besser, Blockwerk von lagetreuen, horizontal verbliebenen Sedimenten und tierischen Gebirgsbildnern weichen den teilweise kleinkörnigen bis gar sandigen Partien dieser verblüffend schlechten Westflanke.

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oben mittig auszumachen der Gipfel

Nun ändert sich auch die Steigrichtung, es geht weiter in eher südlicher bis südwestlicher Richtung. Das Blockwerk wird ab ca. 100Hm unterhalb des Gipfels deutlich besser und die sandigen, kiesigen Hänge enden.

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Weiterhin üppige Markierung führt auch den Touristen zum Ziel…

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der Gipfel nun unübersehbar in kaum 100Hm Entfernung

Blicke zur Riepenwandspitze tun sich auf und nun beginnt man erst die Dimensionen der massiven Felsriesen der Kalkkögel zu erkennen.
Der Gipfel erwartet uns in dem typischen Schönwetternebel den wir dieser Tage so oft rund um die Spitzen die wir erklimmen erdulden müssen. Dafür ist für den Bergsteiger bei diesem Phänomen gewiss, daß das Wetter stabil bleibt.

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2 Stunden ab dem Kreuzjöchl

Nach und nach innerhalb der knappen halben Stunde unseres Aufenthaltes lichten sich die Nebel und wir gewinnen einige Eindrücke (siehe auch die Bildergalerie am Ende dieses Artikels) von dem Paradies in dem wir nun den höchsten Punkt einnehmen:

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dem Schlicker See weit unten wegen verdankt die Schlicker Seespitze ihren Namen

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die gewaltigen Ostabstürze zur Schlicker Alm hin; wir sprechen von rund 1.000Hm zum mäandernden Weg zur Zirmachalm

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die Spitzen der Kalkkögel aufgereiht, ein Paradies in der Landschaft

Am Abstieg – er dauert übrigens, wenn man auf andere Bergsteiger Rücksicht nehmen will – mindestens solange wie der Aufstieg, fassten wir den Entschluß den nahegelegen und bereits in den Formationen der Zentralalpen gelegenen Gamskogel mitzumachen. Wenige Höhenmeter für uns, die wir die Riesen des Halltaler-Karwendels (seit der unterjochenden, unseligen Straßensperre 2012 ab dem Hackl) gewohnt sind und kaum unter 1.500Hm bis 2.000Hm Touren standardmäßig absolvieren.
Ein schöner Blick vom Gamskogel zurück auf die Kalkkögel und mittig der Schlicker Seespitze:

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und sofort ein Rückblick zum bizarren aus tierischem Ursprung; die Schlicker Seespitze vom Gamskogel aus (Richtung Osten)

sowie ein weiterer schöner Blick in das Oberbergtal mit der Franz Senn Hütte und den Gletschern rund um den Alpeiner Ferner:

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eine geologische Kehrtwendung zu den Kalkkögeln, die Morphologie der Zentralalpen vom Gamskogel aus gen westen zum Alpeiner Ferner

Der Rückweg führt uns zur Schlicker Alm zu einem deftigen Essen bei den Wirtsleuten die uns vom frühwinterlichen Trainingslager Anfang Dezember des Schiclub Mils wohlbekannt sind.
Zuvor aber noch zwei starke Eindrücke:

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die Stimmung am Abstieg mit dem Tagesziel hinter Almwiesen, der vorletzte Eindruck

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der letzte Eindruck am Abstieg, kurze Rast mit Rückblick auf die Kalkkögel-Giganten im hintersten der Schlicker Alm, ein traumhafter Bergtag geht zu Ende

Als Abschluß ein Highlight aus der Fauna dieser faszinierenden Landschaft:

Für den Aufstieg vom Kreuzjoch aus haben wir 2 Stunden gebraucht, für den Abstieg gleich lange (ohne den Umweg über den Gamskogel). Der Höhenunterschied beträgt knapp 700Hm, jedoch ohne das Auf und Ab über den Niederen Burgstall. Dafür schätzen wir nochmals gut 100Hm einzurechnen.

Mehr über die Kalkkögel ist in der Rubrik 2011 unseres Blogs als PDF zu finden: http://spitzentreffen.at/wp-content/uploads/2013/01/Touren-2011.pdf

Mils, 17.08.2013

Die Bettelwurfrunde, Kleiner Bettelwurf und Großer Bettelwurf

Die Runde um die Bettelwürfe empfiehlt sich normalerweise mit dem Anstieg auf den Kleiner Bettelwurf und dann den Übergang, teilweise als Klettersteig ausgeführt, zum Großer Bettelwurf.
Ich habe die Runde heute umgekehrt gemacht, weil der Abstieg zum Bier in der Bettelwurfhütte vom kleinen Bettelwurf schneller und etwas bequemer ist, als vom großen Bettelwurf. Dafür muß man die senkrechten Partien des Klettersteiges im Abstieg machen. allerdings sind diese nur kurz, jedoch muß man die Oberarme strapazieren.

Wenn man den Übergang geht, egal in welche Richtung, dann ergreift einen von selbst Respekt vor dem Erstbegeher des Überganges, Carl Gsaller. Er hat das damals ohne Wegbeschreibung oder Aufstieghilfen geschafft, ja nicht einmal genau gesehen haben kann er den Übergang in seiner gesamten Länge . Er hatte, im Versuch den großen Bettelwurf zu ersteigen, irrtümlich den kleinen Bettelwurf erwischt und seine kämpferische Bergsteigernatur ließ es nicht zu, daß er „unverrichteter“ Dinge wieder ins Tal abstieg, nein er hat am Gipfel des Kleinen beschlossen, den Übergang zum Großen sofort anzugehen.

Wenn man sich das Foto von heute ansieht, dann muß man schon Respekt haben, denn der nächste Zufluchtsort oder Hilfe ist nämlich nur gute 1.100Hm tiefer zu finden und niemand würde ihn am 18. Juni 1878 auf diesem Gebirgszug vermissen:

Blick vom kleinen Bettelwurf zum Übergang auf den großen Bettelwurf

Der Übergang vom Großen Bettelwurf zum Kleinen vom Großen aus gesehen

Die wortgewaltige Beschreibung Carl Gsallers, den Übergang betreffend, hier als Zitat seiner Schriften in kursiv (Start des Originaltextes ist die Beschreibung der letzten Meter des Aufstieges des Kleinen Bettelwurfes):

…Gipfel herabziehende Felsrippe, jetzt von Ost nach  West, querend, sah ich plötzlich eine weite, schneeerfülltc, mässig geneigte Rinne vor mir, die gerade zum Scheitel emporwies. Rasch wurde durch sie hinangestiegen, noch eine kurze, harmlose Kletterei und ich betrat um 12 h mittags in athemloser Spannung den Gipfel. Ein Blick nach Osten und da gab’s eine wahre Ueberraschung. Dort ragte ja pyramidenförmig ein weit höherer Felsscheitel empor, ja dort stand sie, die Grosse Bettelwurfspitze, während ich im blinden Eifer die bisher unerstiegene Kleine Bettelwurfspitze erobert hatte! Statt Freude über die unvermuthete Errungenschaft, bemächtigte sich meiner ein lebhafter Unmuth, der mich auf Alles vergessen und nur nach der grossen Spitze starren liess.
Was nun thun? Diese zweifelhaften, beim Aufstieg überwundenen Felsen gefielen mir für den Rückweg gar nicht, doch im nahen Osten senkten sich von der Scharte zwischen beiden Gipfeln zum Abfahren so recht einladende Schneefelder gegen das Speckkar hinab. Also vorerst dort hinüber, das Weitere wird sich finden! So fing ich denn an, den Quergang zu der gedachten Scharte unter dem etwas niedrigeren Ostkopf der Kleinen Bettelwurfspitze durch zu bewerkstelligen. Angenehm war dieses Kreuzen steiler, mit tiefem Schnee bedeckter Platten keineswegs. Weil ohne Stock, musste ich stets die linke Hand tief in den Schnee vergraben, eine nicht ganz überflüssige Art des Festhaltens, denn mehrmals rutschte die ganze weiche Masse unter meinen Füssen ab. Zudem äusserte sich an den Fingern ein starker Schmerz, der mir erst später klar werden sollte. Ueber trümmerbedeckte Felsen ging’s schliesslich hinab zur angestrebten Scharte zwischen der Grossen und Kleinen Bettelwurfspitze, nach einer von mir vom höheren Zunderkopf bei Hall vorgenommenen halbtrigonometrischen Messung 2564 Meter hoch. Ihre mässig geneigte Schneefläche erschien im Norden von einem fast senkrechten Absturz begrenzt, aus dem ein spitzer Fels, ganz überzogen von Moos und Flechten grüner und gelbgrüner Farbe aufragte und vom Weiss der Umgebung seltsam sich abhob.
Nun hätte ich, wie gewollt, über die lange tiefverschneite Plattenrinne zum Speckkar absteigen können, die Bahn war ja frei. Doch haIt! Da stand der Westabfal1 der Grossen Bettelwurfspitze zu verlockend vor mir, eine prächtige Pyramide, von zahlreichen Querstufen weiss und grau gezeichnet. Ich blickte verlangend hinauf und beschloss, dieselbe sofort anzugreifen. Ein Trümmerband führte auf den Nordabfall des Gipfels, woselbst eine sehr steile Rinne ohne Schwierigkeit erklettert wurde, da ihr Boden mit förmlichen Spitzhöckern sich überzogen erwies. Sodann fortsteigend, wie es eben ging, gelangte ich etwas später durch eine enge Schlucht von Süden her auf eine grössere Felsstufe. Während einer kurzen Rast wurde mit Eislimonade der brennende Durst gelöscht und die im Rücken stehende glatte Wand nach einer Ersteigungsmög1ichkeit studirt. Da sich wenigstens an dieser Stelle keine solche erkennen liess, drang ich auf dem Trümmerbande am Fusse der Wand gegen Süden vor. Bald trat ein Kamin entgegen, freilich mit überhängendem Fels in der Mitte, was mich aber nicht abschreckte, den Aufstieg durch ihn erzwingen zu wollen. Doch der Erfolg blieb aus, die überhängende Stelle war trotz hartnäckiger Versuche weder gerade hinauf, noch seitlich zu bewältigen , ich glitt einfach wieder herab. Zornig ging ich auf das Trümmerband am Fusse der Wand zurück, um weiter südlich einen Anstieg zu suchen. Und wirklich öffnete sich der Fels schon nach wenigen Tritten zu einem ersteigbaren Kamin, oben von einem Felsloch geschlossen. An letzterem wurde nun der Unmuth über den früheren Misserfolg ausgelassen, indem ich mich trotz seiner Enge sammt dem Rucksack hindurchzwang. Hinter dem Loch führte eine mit weichem Schnee erfüllte Schlucht gegen Norden auf eine zweite, der unteren ganz ähnliche Felsstufe. Von hier aus auf schwindligen Trümmerbändern der Nord-(Vomperloch-) Seite vorgehend und zuletzt gerade emporkletternd, wurde der westliche Eckpunkt der Grossen Bettelwurfspitze erreicht. Nun galt es noch den Gratübergang zum höchsten Punkt zu bewerkstelligen. Ein spitzer Kammeinschnitt bot zwar keine Schwierigkeit, unangenehmer waren aber die über den 10001100 Meter hohen nördlichen Steilabsturz ins Vomperloch vortretenden Schneewächten, die Vorsicht erforderten und mangels eines Stockes zu häufigem Kriechen zwangen. Endlich tauchte das Steinmännchen des höchsten Punktes auf gleichzeitig hüllte mich aber Nebel ein. Schnee begann zu fallen und Wie durch einen Schleier  winkte das nahe Ziel.
Um 5h 20m abends war die Grosse Bettelwurfspitze erstiegen. Von Schneeflocken umwallt, kauerte ich mich müde neben dem Steinmännchen nieder, um vor Allem den heftig knurrenden Magen zu befriedigen. Und während dieser Thätigkeit flogen die Blicke im Kreise umher, die Fernsicht zu mustern. Ich war von ihr wahrhaft überrascht und fand sie ebenso grossartig als prächtig. In der Tiefe das grüne, schöne ThaI des Inn, besäet mit Städten und Dörfern, darüber die üppigen Terassen des liebreizenden Mittelgebirges, fernerhin der dunkle Wald, umsäumt von der helleren Region der Alpenmatten, und das Ganze schliesslich gekrönt von der mächtigen, weissblinkenden Gletscherkette, die im fernen Osten auftaucht und quer durch Tirol ziehend, im Westen verschwindet, ein Bild von gewaltiger Wirkung.

 

Natürlich ist der heutige Klettersteig anders angelegt als Gsaller seine Erstbegehung beschreibt (sie dürfte auch etwas weiter südlich des heutigen Klettersteiges gelegen haben, denn er erwähnt, daß erst oben die Abstürze ins Vomperloch bedrohlich waren). Das Ziel war jedoch das gleiche und wer den Übergang heutzutage geht, der muß unweigerlich die hohe Leistung eines Alleingehers mit mittelmäßiger Ausrüstung erkennen.

wenig oft fotografierter hinterer Gipfel des Kleinen Bettelwurf

In einem weiteren Artikel werde ich mich mit Gsallers Anstieg von den Herrenhäusern auf den Kleinen Bettelwurf befassen. Soviel sei vorweggenommen, er hatte mit den selben Problemen wie H. v. Barth mit der Erstersteigung des Großen Bettelwurfes zu kämpfen und die Schwierigkeiten sind geleitet von der Sicht im spitzen Winkel auf die beiden Gipfel.

Mils, 13.07.2013

Carl Gsaller – Treffen von Alpinismus und Jagdwesen

Das schier nicht enden wollende Schlechtwetter mit Schneefall bis unter 1.500m Seehöhe veranlaßt mich zu Beginn des Juni 2013, an den Computer gefesselt, weitere Nachforschungen über die frühe Bergsteigerei anzustellen und Carl Gsaller liefert hierzu  für alle alpingeschichtlich Interessierten eine berichtenswerte, interessante und, wie ich meine, heute weitgehend unbekannte Beschreibung über das Verhältnis zwischen dem alteingesessenen und traditionell über Jahrhunderte unerschütterlich fest verankerten Jagdrecht und der beginnenden Entdeckung der Berge durch die ersten Pioniere des Alpinismus.

Carl Gsaller

Carl Gsaller aus Innsbruck war einer der Erschließer der Gebirge rund um Innsbruck, des Stubaitales, und des Karwendels, eine kurze Biographie füge ich per Link am Ende dieses Artikels bei. Die Biographie deshalb weil es über Carl Gsaller paradoxerweise keine rasch zugänglichen Information zum Abruf im Internet gibt. Wikipedia kennt zwar einige seiner Erstbegehungen, jedoch gibt es keine Informationen über ihn selber. Ich habe es mir nicht leicht gemacht und mir allerlei erdenkliche Suchformulierungen ausgedacht, alle jedoch bescherten äußerst bescheidenen Erfolg und kaum Ausbeute über die Schriften des großen Sohnes Tirols. Dem Interessierten kann ich jedoch auf Anfrage einige weiterführende Links überlassen.
Es bleibt zu hoffen, daß Günter Amor mit seinem in Kürze erscheinenden, oder bereits im Handel erhältlichen Buch „Ein Bahnbrecher des Alpinismus“ eine kleine Renaissance des Interesses an Berichten über frühen Alpinismus und den lebhaften Schilderungen Carl Gsallers, einem der großen der damaligen Pioniere und, nach allen Beschreibungen meiner bisherigen Recherchen, der erste „Extremkletterer“ seiner Zeit einleiten wird.

Wir schreiben das Jahr 1878 als Gsaller sich die Besteigung des Großen Bettelwurfes vornimmt und diesen, nach dem unbeabsichtigtem Umweg über den Kleinen Bettelwurf, schlußendlich in einer Kraftaktion, bei widrigem Wetter, mit festem Willen auch bezwingt. Wohl gewahr und, wie er schreibt, einigermaßen angestachelt davon, daß Hermann von Barth dies bereits 1870 als Erstbesteiger geschafft hat macht er sich von Innsbruck aus ins Halltal auf. Aber mehr davon in einem anderen Artikel.

Großer Bettelwurf aus der Sicht von Carl Gsaller als er den Kleinen Bettelwurf erstbestieg

In seinem Buch, bzw. Bericht „Aus dem Karwendel- und Risser-Gebirge“ beschreibt er im ersten Kapitel „Allgemeines“ zunächst eine interessante, aber nach heutiger Ordnung nicht mehr gebräuchliche Einteilung der Gebirgsketten des Karwendels und wechselt dann über in dasselbe Thema, das auch Hermann von Barth als  sehr unangenehm beschreibt und zwar, daß es im Karwendel einen sehr zu beklagenden Mangel an hochgelegenen Übernachtungsmöglichkeiten, also heute Schutzhütten, gäbe.
Man kann also daraus ersehen, daß dieser Umstand ein mehrfach bemerktes echtes Manko für die – sagen wir –  Extremsportler der damaligen Zeit gewesen sein muß.
Gut vorstellen kann sich das jeder selber, wenn er Bergtouren in die hinteren Ketten des Halltales, oder auf die Gipfel westseits des Stempeljoches unternimmt und die verkorkste, ungelöste Situation mit der Sperrung der Halltalstraße seit dem Jahr 2012 kennt. Man benötigt einfach bis zum Schranken beim Ferdinand eine Stunde mehr Aufstiegszeit und büßt dies, nach langer Tour, auch ein zweites Mal am Rückweg ein.
Für die  extremsten der Karwendelpioniere war dies natürlich, auf Tour zu den höchsten Spitzen dieser Kämme, eine echte Herausforderung und deshalb nahm man kaum fassbare Strecken an einem Tag in Angriff; extreme Strecken zu Fuß zu gehen war in diesen Tagen ohnehin an der Tagesordnung wie man immer wieder beim Lesen der Berichte, auch z. B. der Wilden Bande, erfährt. So liest man bei Gsallers Anreise zu den Herrenhäusern, daß er am Abend in Innsbruck losmarschiert ist und um elf Uhr Nachts bei den Herrenhäusern ankam. Eine Strecke bei der man heute nicht einmal daran denken würde, sie per pedes zu absolvieren.
Auch für die Orientierung der aufstrebenden Riege der Bergsteiger , für die immer weiter zunehmende Masse an Bergbegeisterten in ihren Aktionsgebieten, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wurden von den in den 1860er Jahren gegründeten Bergsteigerclubs und des Österreichischen Alpenvereines Karten angefertigt und Steige mit Wegmarkierungen (möglicherweise schon mit Wegenummern) angelegt.
Denkt man heute über diese ersten „Infrastrukturmaßnahmen“ der Vereine für ihre Mitglieder nach, so würde man meinen, daß diese rein aus eben dem Orientierungsgedanken heraus angelegt worden sind. Jedoch weit gefehlt, wenn man Carl Gsaller liest, man genieße folgende Beschreibung Gsallers über unglaubliche Zustände durch der Herrschaft des Jagdrechtes!

Text aus Carl Gsaller: „Aus dem Karwendel- und Risser-Gebirge“, Kapitel „Allgemeines“
…Jedoch sei wohl bemerkt, dass es den Knappen im Hallthal eigentlich verboten ist, Fremde zu beherbergen, und wenn es trotzdem geschieht, so rechtfertigt man sich eben mit Menschlichkeitsrücksichten. Freilich darf auch lobend erwähnt werden, dass die Bergbeamten genannte Vorschrift mit grösster Nachsicht handhaben. Auch die Vereinsalpe bei Mittenwald sei angeführt, da sie Alpenkost, Kaffee, Bier und Branntwein bietet. Wer jedoch auch Nacht­lager wünscht, muss sich dasselbe vom jeweiligen Jäger im Pürschhaus erbitten, da die Aelpler als Pächter des Jagdherrn keine Touristen beher­bergen dürfen und die Jagdverwaltung die Schritte der Touristen genau kennen will. Indess findet sich für den Nothfall auch in der Alpe selbst Unterkunft, wenn man, ohne lange zu fragen, bis zur Nacht sitzen bleibt. Der Aelpler hat dann die Rechtfertigung, er hätte den Menschen aus Barmherzigkeit hier behalten müssen! Am allerschlechtesten ist es mit der Unter­kunft im Hinterauthal und im Vomperloch bestellt. Im ersteren finden sich nur einige Alpen, deren Senner oft unsichtbar bleibt, als Ruhestätten, im letzteren selbst solche nicht. Wer also Bequemlichkeit wünscht, muss sich an die äusseren Grenzen des Karwendel-Gebirges halten oder sich mit Thal-und Uebergangstouren begnügen, wer aber gar den Anspruch erhebt, ein gern gesehener Gast zu sein, der thue noch mehr desgleichen. Fast das ganze Gebiet befindet sich eben in den Händen einiger hoher Jagdherren, unter denen der Herzog von Coburg, der sich in der Hinterriss eine Art Jagd­königreich gegründet hat, in erster Linie hervorragt. Auch die meisten Alpen innerhalb seines Machtbereiches sind ihm eigenthümlich. Der Vieh­auftrieb wird daher genau bestimmt, Schafe und Ziegen sind ganz verboten, Rindvieh wird nur in beschränkter Zahl zugelassen, mit den Alpenpächtern selbst wenig Federlesens gemacht. Und wenn der Tourist in vielen Thälern des Karwendel-Gebirges die Wegmarken des Alpenvereins findet, Weg­marken, die von den Jagdverwaltungen gestattet wurden, so denke er ja an kein Wohlwollen von Seite der letzteren, o nein! Die Wegzeiger tragen im Sinne der Jagdbesitzer die Bedeutung, den Touristen genau zu lehren, wie er am schnellsten aus diesem geheiligten Gebiete der Hirsche und Gemsen wieder hinausfinden könne. Aehnliches kann man auch mündlich vernehmen. So bekam der Verfasser vom Forstverwalter Platz in der Scharnitz einmal zu hören, „man müsse diesen Herren entgegenkommen, um sie baldigst wieder hinauszubringen“.
Da in dieser Beziehung der Rechtsstandpunkt strittig erscheint, so bleibt es immer am klügsten, sich mit den Jägern auf guten Fuss zu stellen, über die Zeit der Jagden Erkundigungen einzuziehen und während derselben, sowie vierzehn Tage (wenn durchaus gewünscht, noch längere Zeit) vorher das betreffende Thal u. s. w. zu meiden. So ist der Verfasser vorgegangen und dabei gut gefahren. Um scheele Blicke einzelner Jäger aber kümmere man sich nicht! Ich will übrigens dem freundlichen Leser noch mittheilen, was mir der verstorbene Wildmeister Risser, zugleich Besitzer des Alpen­hofes in der Hinterriss, als Wunsch der herzoglich Coburg’schen Jagdver­waltung bezeichnete. „Die Jagdverwaltung wünscht in erster Linie, dass sich der Tourist in jedem Falle vor seiner Bergtour mit ihr ins  Einvernehmen setze, wobei gewiss keine nicht durch das Jagdinteresse gebotenen Hinder­nisse erhoben werden. Besonders zu achten ist auf die Zeit vom 20. Juli bis 10. August, in welcher die Hirschjagden des Herzogs leicht gestört werden können, ebenso auf die Zeit etwa vom 26. September bis 10. October, welche die Brunftzeit der Hirschen darstellt. Alles muthwillige Ablassen von Steinen, alles Schreien und Schiessen ist zu vermeiden.“ Risser legte also, entgegen sonstigen Anschauungen, den Störungen der Gemsen durch Touristen nicht viel Werth bei, er hielt die Ruhe des Hirschwildes vor Allem wichtig. Der­selbe erklärte ferner, dass Jochübergänge von Seite der Touristen, z. B. von Hinterriss nach Bächenthal, für das Wild wenig empfindlich seien, weil das­selbe auf solchen Linien mehr an den Menschen gewöhnt erscheine; auch bringe es dem Jagdherrn weniger Nachtheil, wenn seine Verwaltung vor Beginn der Jagd den erfolgten Durchzug eines Menschen erfahre, da man in diesem Falle durch geeignete Aenderung des Treibens das Wild dennoch zusammenbringe.
Damit glaube ich nun, die Verhältnisse dieses Gebietes in grossen Zügen geschildert zu haben…

Der Herzog von Coburg als Jagdbesitzer war also ein weitgehend unumschränkter Herrscher und seine Jäger vollzogen das Jagdrecht relativ harsch, den Neuankömmlingen im Gebirge gegenüber.
Man muß sich vorstellen, daß die Aelpler (also die Bauern die eine Alm betrieben haben) sogar Pächter des Jagdherrn waren (sie selbst hatten also keinerlei Recht an den Bergwiesen der Alm) und sie durften keine Touristen beher­bergen. Weiters wollte die Jagdverwaltung die Schritte der Touristen genau kennen! Besonders zu achten sei auf gewisse Zeiten, in welchen die Hirschjagden des Herzogs leicht gestört werden können!

Man kann es kaum glauben, die Jagd, der omnipotente Beherrscher des Karwendel noch vor 135 Jahren; so mutet diese Situation jedem Leser an (ich kann mich daran erinnern vor einigen Jahren bei einem Freund das Manuskript seiner bevorstehenden Jagdprüfung gelesen zu haben und darin heutzutage kaum zu glaubende Gesetze gefunden zu haben. So beispielsweise, daß ein Jäger einen Wanderer perlustrieren darf als wäre er ein Polizist (wenn er in irgendeiner Weise verdächtig auffiele, oder „Abwurfstangen“ mit sich trüge). Es scheint, daß sich einige dieser archaischen Gebräuche, genannt „Jagdrecht“, bis in das dritte Jahrtausend retten konnten).

Andererseits muß man im Vergleich zu Gsallers Text einräumen, daß in den USA die Sklaverei auch erst vor 135 Jahren abgeschafft wurde.

Interessant wäre in diesem Zusammenhang zu wissen welche Summen an Pacht für die schier unerschöpflichen Gebiete an den Besitzer (hoffentlich das Land Tirol) bezahlt wurde und wie es zweckgebunden der Bevölkerung wieder zugute kam. Aber dies ist ein anderes Kapitel, hier liese sich stundenlang recherchieren.

Von Carl Gsaller werde ich bei nächster Gelegenheit noch die Erstbesteigung des Kleinen Bettelwurf kommentieren, auch ein Bericht in „Aus dem Karwendel- und Risser-Gebirge“.

Biographe Carl Gsaller

Mils, 02.06.2013