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Sagwandspitze, 3.227 m – Versuch über den Nordwestgrat

Interessant und einladend klingt die Beschreibung des Nordwestgrates auf die Sagwandspitze im Alpenvereinsführer und die Erstbegehung von Ingenuin Hechenbleikner1 im Jahr 1903 erweckt den Anschein, daß sie in jedem Fall zu meistern sein müßte.

Blick auf den nordseitigen Aufstieg zur Hohen Warte (Schwierigkeit weit über III-)

Tief im idyllischen Valsertal liegt die mystisch wirkende  Zeischalm oberhalb einer signifikanten Talstufe und sie bildet mit den umgebenden Graten die Arena für den Ausgangspunkt der Tour auf die Sagwandspitze. Der Start unten im Tal, am Ende der Zivilisation, erfolgt am Parkplatz bei der Touristenrast, besser noch, jener unterhalb der Nockeralm südlich des Alpeinerbachs.

Blick auf die Talstufe zur Zeischalm

Aufgestiegen wird durch einen alten Wald in dem bereits die bevorstehende, erschwert zugängliche Abgeschiedenheit der Talstufe oberhalb spürbar wird, nicht zuletzt versetzen die geschnitzten Waldgeister an Baumstümpfen in Stimmung.

am frühen Morgen über das Valsertal hinaus zurückgeblickt

Im oberen Teil des Aufstiegs führt der Steig quer über zwei Hangbruchflächen, die bei klaren Nächten vor Schitouren im späten Winter die erste Notwendigkeit von Harscheisen auf der Route bedingen. Kleine Wasserfälle zieren die schönen rostroten Biotitgneisfelsen oberhalb des Steigs. Die Waldgrenze wird dort erreicht und wechselt mit dichtem Strauchwerk sowie zunehmend Latschenbewuchs. Vogelbeere säumt den Weg.

Blick auf den felsigen Übergang zur Zeischalm

Auf mäßig steigendem Pfad wird durch Latschengassen die Zeischalm erreicht. Sie stellt mit ihren weitläufig gestreuten Stein- und Holzbauten, die der Almöhi – so könnte man Erich Gatt in Anlehnung an Johanna Spyri nennen – in 40 Almsommern geschaffen hat, den magischen Kern der Arena dar.  Mitten durch die engere Almeingrenzung führt der Weg auf die Hohe Kirche, ein beliebtes Schitourenziel, das auch beim Nordwestgrat auf die Sagwandspitze nicht fehlt.

mystische Zeischalm

Von den Almgebäuden besteht bereits ein guter Blick auf den Nordwestgrat der Sagwandspitze, wenn auch zu früher Stunde noch gegen das aufgehende Licht und schwer zu fotografieren.
Die Aussicht auf die südliche und östliche Almumfassung gibt eine eindrucksvolle Morgenstimmung des nahenden Herbstes wider.

Kluppen, Kraxentrager und die Lange Wand mit dem Geistbeckweg im Westen

In der südlichen Ecke der Grate das Tuxer Hauptkamms befindet sich der Kluppen, ein wenig aufgesuchtes Schitourenziel darstellt, zuletzt über ein kurzes Gratstück festen Granitgneises erklommen. Rechts davon, im Südwesten der Umfassung ragt der Kraxentrager auf, ein hehres Schitourenziel über eine steile Wand aus dem nördlichen Kar im Venntal.

Hohe Kirche, 2.634 m

Durch die langgezogene felsige Rippe im Westen der Einfassung des Kessels, die sogenannte Lange Wand, zieht der Übergang des Geistbeckwegs, ein Steig, der von der Touristenrast (siehe oben) zur Landshuter Hütte (auch Europahütte genannt) führt.

Olperer links, Fußstein rechts in Bildmitte

Während des Aufstiegs über den ostwärts gerichteten Steig auf die Hohe Kirche durchschreitet man einige Feuchtstellen, weshalb – wie immer in alpinem Gelände – hohe Bergschuhe die richtige Ausrüstung darstellt. Der Steig führt vor der Hütte westwärts mit ein paar Metern Höhenverlust in Richtung der Felskante, die zur Hohen Kirche hinaufführt. Diese Felskante stellt eine geologische Trennung zwischen Granitgneis, der die Grate des gesamten Kessels der Umrahmung der Zeischalm bildet und Granodioritgneis im Norden, hinab in das Alpeinertal.

Nordwestgrat zur Sagwandspitze voraus; am Grat im Vordergrund dunkel die Hohe Warte 310 m höher

Angelegt hat den Steig offenbar Erich Gatt vor vielen Jahren und vergaß dabei nicht seine Marken aufzustellen. Ein Bericht darüber findet sich hier. Der Steig führt teilweise recht steil durch die Schrofen aufwärts.

Aufstieg auf den Nordwestgrat nach dem Sattel zur Hohen Kirche

Auf der Grathöhe der nach Norden abfallenden Rippe auf der der Anstieg erfolgt, können massive Fundamente einer Materialseilbahn des ehemaligen Molybdänbergbaues unterhalb der Alpeinerscharte erkannt werden.

herrliches Aufstiegsgelände im festen Granitgneis zur Hohen Warte

Im Zweiten Weltkrieg versuchte man das begehrte Erz für die Rüstung zu gewinnen, mit hohen Opfern an Zwangsarbeitern und spärlicher Ausbeute von Erz. Als unergiebig wurde der Abbau bald eingestuft, näheres beim Bericht der tollen Schitour auf die Alpeiner Scharte.

Rückblick zur Hohen Kirche und ins Valsertal

Der Gipfelschmuck der Hohen Kirche trägt die Handschrift Erich Gatts. Drei Steinmänner bevölkern das rundliche Plateau nebst einer eigenwilligen, passenden Installation mit Christus-Skulptur aus Stein der Bergwacht Vals an Gatts gemauerter Sitzbank.

ehemaliger Alpeiner Ferner mit schuttbedecktem Gletschertor; man beachte die noch immer dicke Eisschicht im Nordkar

Von der Hohen Kirche genießt man einen einzigartigen Blick auf die Fußstein Nordkante, auf den Olperer, die Alpeiner Scharte, den Schrammacher und, dem Grat folgend, auf die Sagwandspitze, dem Tourenziel, über dem um 10 Uhr vormittags direkt die Sonne steht. Die eigentliche Gratbegehung  beginnt nach der Einsattelung südlich der Hohen Kirche.

Quarzkristalle

Mit 35 Hm Verlust durch die Überquerung des Sattels auf den ansteigenden Teil des Nordgrates zur Sagwandspitze beginnt der Aufstieg auf die schönen zerrissenen und ungemein trümmerbeladenen Graterhebungen. Teilweise muß sehr steiles Blockwerk durchstiegen werden, eine nicht wenig anstrengende Aktion.

am ersten klotzigen Gratturm rechts vorbei

Zuerst beginnt der Grat mit einem Aufschwung kurz nach dem Sattel, der rasch erklommen wird, und bis zum Hochpunkt etwa 120 Hm mißt. Am Weg dorthin fällt der Blick auf die Abbruchhalde über dem Alpeiner Ferner, unterhalb der mächtigen Ausbildung der Nordwände von Schrammacher und Sagwandspitze, Wände mit über 700 m Höhe und durchschnittlichen Neigungen von über 60° Neigung.

nächster, höherer Gratturm

Tatsächlich erkennt man in der Tiefe ein Gletschertor unterhalb von meterhohem Schutt über den kümmerlichen Resten des Fernereises. Das Gletschertor befindet sich hinter einem hohen Moränenwall und ist wahrscheinlich am Weg zur Alpeiner Scharte nicht zu sehen.

Rückblick auf eine zu überquerende Scharte

Auf den selten betretenen Flächen des Nordgrates findet man allerlei reizvolle Kristalle von Quarz und Bergkristall. Der spröde Granitgneis bildet mit seinem Bruchverhalten glatte Flächen und riesige Blöcke aus, über die der Aufstieg zum höchsten Hochpunkt erfolgt.

Überblick über den bisherigen Aufstieg

Dem ersten plumpen Turm folgt eine Scharte, durch die auch nach der Zeischalm abgestiegen werden kann. Jenseits der Scharte führt der Grat steil zum nächsten, bereits prägnanter ausgebildeten Gratturm weiter. Die Türme werden nicht überklettert sondern westlich unterhalb umgangen.

Gelände vor dem Band zur Scharte

Anschließend wieder anfänglich über Blockwerk westlich der Gratkante weniger steil weiter auf den nächsten Buckel, der rundlich ausgeprägt ist, und weniger über Blockwerk, mehr über einen plattigen Rücken erstiegen wird. Oben am Rücken rechts auf einem schmal werdenden Grasband erscheint  gleich die steile Nordschulter der Hohe Warte, deren Hochpunkt nur 30 m höher als der eigene Standpunkt liegt, von dort aber nicht sichtbar ist.

Nach einer Viertelstunde vom zweiten Gratturm über anstrengendes Blockwerk wird das westseitig Band zum Abbruch zur engen Scharte vor der Hohen Warte erreicht

Zwischen der Nordschulter und dem eigenen Standpunkt klafft eine interessante, tiefe, den obersten Blöcken nach zu urteilen aber brüchig aussehende sehr steile Scharte.

Knackpunkt

Da die Route Hechenbleikners den sogenannten „…Gratturm, der nach S mit einer steilen Kante abfällt…“ nicht als die Hohe Warte erkennt, kann aufgrund seiner Beschreibung mit Sicherheit festgestellt werden, daß es sich um dieselbe handelt. Auf der nicht sichtbaren Südseite fällt die Hohe Warte tatsächlich sehr steil 50 Hm ab und ist in ungesicherterer Kletterei sicher nicht zu schaffen. Hierzu ein Bild der Hohen Warte von Ost (Geraerhütte), aus einer anderen Tour und eines von West (obere Zeischalm), das bei der Erkundung im Abstieg stammt.

Hohe Warte mittig und rechts davon der runde Rücken (hier eher als Spitz erscheinend) mit Kante links hinab zur engen Scharte, von Osten gesehen

Nun folgt die knappe Anweisung in der Routenbeschreibung: „Er wird links umgangen.“ [links = östlich i. S. des Aufstiegs, Anm. d. Verf.]. Die Betrachtung der sonnigen Westseite entfällt also und man muß der Routenbeschreibung zufolge die dunkle Ostseite, die steil auf die Alpeiner Seite abfällt, nach einer Möglichkeit der Umgehung untersuchen. Da dies am Standplatz am Abbruch in die tiefe Scharte nicht möglich ist, muß einige Meter zurückgeschritten werden, um am runden Rücken auf dessen Ostseite zu gelangen. Dort kann noch ein paar Meter abgestiegen werden, bevor sich die schauerliche Ostwand in voller Dimension zeigt und sich ein sofortiges und entschiedenes „unmöglich!“ in den grauen Zellen manifestiert.

Hohe Warte und die folgenden Grattürme von Westen; rechts der Hohen Warte die steil abfallende Kante nach Süden

Selbst bei längerer Betrachtung konnte der Verfasser unterhalb der Hohen Warte keine durchgehend sicher zu begehende Passage ausmachen, die  auch nur annähernd eine sichtbare Möglichkeit der Umgehung hätte sein können. Unten am Ansatz der mächtigen Vertikalwand der Hohen Warte lauern höchst brüchige, extrem steile Felspartien, deren Stabilität bereits bei der Betrachtung fraglich scheint. Die Vertikalwand selber weist über ihre gesamte Höhe keinen gangbaren Riß oder Band oder ähnlich günstige Formen auf, sie ist glatt wie eine Hausmauer. Schon allein der Standplatz von dem aus die Bilder in der Galerie entstanden sind, erzeugte Unbehagen hinsichtlich der Standfestigkeit der Ostseite des Grates. Wie Hechenbleikner diese Passage gemeistert haben mag blieb dem Verfasser schleierhaft und einem Burschen mit fortgeschrittener Erfahrung (bereits im Alter von 21 Jahren) wäre trotz immenser Schneid nicht zuzutrauen eine solch törichte Unternehmung gewagt zu haben. Im Alleingang, ungesichert. Was war Hechenbleikner für ein Bursche? Dem mußte nachgegangen werden.

Wechsel auf die Ostseite des Grates, Blick auf schauerliches, unbegehbares Gelände am Fuß der Hohen Warte

Allerdings – und dieser Umstand könnte des Rätsels Lösung sein – ändert sich die Topographie in 120 Jahren entscheidend und umso ausgeprägter, je steiler und brüchiger sich Formen am Grat ausgebildet finden. Es könnte also sein, daß es im Jahre 1903 unterhalb der Vertikalwand noch einen gangbaren Absatz gegeben hat, der, wenn auch durch mäßige bis schwierige Kletterei, die Querung ermöglicht hat.

Mittelteil des Abbruches vor der Hohen Warte

Bei Betrachtung der Situation dort muß ja förmlich davon ausgegangen werden, daß Hochwetter und Verwitterung  heute eine Situation geschaffen haben, die sich völlig anders präsentiert als zur Zeit der Beschreibung. Daß Hechenbleikner ein Mann karger Worte, vielmehr ein Routenerschließer ohne Dokumentationsfreudigkeit war, konnte der Verfasser im Laufe seiner Recherche über ihn prägnant feststellen. Daß er aber nur einen lapidaren Satz in der Tourenbeschreibung für solch eine Passage verschwendet scheint unwahrscheinlich. Je mehr der Verfasser im Drang die Tour fortzusetzen darüber nachdachte, desto mehr erhärtete sich die Meinung, daß die Situationen von einst und jetzt nicht zu vergleichen sind und er sich nicht als Feigling fühlen muß, die Entschlossenheit nicht aufgebracht zu haben, die wahnwitzige Passage zu wagen.

oberer Teil des Abbruches mit Schrammacher und Alpeiner Scharte im Hintergrund

Eine zweite Möglichkeit wäre die Umgehung der Hohen Warte – in der Beschreibung als „…empor bis unter einen Gratturm, der nach S mit einer steilen Kante abfällt“ – von der tief gelegenen engen Scharte aus links, direkt unterhalb der plattigen Aufschwünge der Hohen Warte.

Blick auf den nordseitigen Aufstieg zur Hohen Warte (Schwierigkeit weit über III-)

Den Abstieg dorthin wagte der Verfasser ohne Sicherung ebenfalls nicht, angesichts der losen Brocken oben am Standplatz an der Westflanke. Gesichert wäre der Abstieg aber kein Problem und am Standpunkt der engen Scharte unten ergibt die Beschreibung „unter einem Gratturm“ [die Hohe Warte] Sinn. Ob von dort unten ebenfalls in die schauerlich brüchige Ostflanke hinausgestiegen werden muß, oder in festen Fels, der die linksseitige Umgehung ermöglicht, blieb bei der hier beschriebenen Begehung offen.

Mittelteil der Nordseite der Hohen Warte

Eine dritte Möglichkeit wäre – und diese könnte sich noch bewahrheiten – daß der wortkarge und wenig auskunfts- bzw. dokumentierfreudige Hechenbleikner einen der folgenden Grattürme mit „links umgehen“ meinte. So weit ist der Verfasser im Anstieg ja nicht gekommen.

Blick zur engen Scharte vor der Hohen Warte (diese könnte der Beschreibung „…empor bis unter einen Gratturm …“ entsprechen

Es könnte sein, daß er den oben beschriebenen Abstieg in die enge Scharte auf der Westseite der Hohen Warte in seiner knappen Art gar nicht erst beschreibt, weil er eigentlich logisch aussieht. Dagegen spricht, daß alle drei folgenden Gratzipfel relativ klein sind und deren Querung höchstwahrscheinlich in hechenbleiknerisch knappen Berichten überhaupt keiner Erwähnung wert sind. Keiner der folgenden drei Grattürme fällt mit erwähnenswert hoher steiler Südkante ab, wenn man deren Flanken von Osten betrachtet. Lediglich die Hohe Warte besitzt eine steile Südkante.

Rückzug

Auf einer beschriebenen und eingestuften Route umzudrehen stellt den höchsten Schwierigkeitsgrad am Berg dar; angesichts der Vernunft wurde diese Schwierigkeit jedoch gemeistert.

Rückblick beim Nachdenken über die weitere Vorgangsweise

Der Abstieg in die tiefe Scharte und eine Umgehung auf der Westseite dürfte in der Nachbetrachtung jedoch eine vernünftige und alpinistisch auch logische Variante sein, die mittels eines halblangen Seils bis zur Scharte auch größtmögliche Sicherheit bieten würde. Niemand steigt gerne 80 m ab, außer wenn es keinen anderen Weg gibt. Es gilt, diese Möglichkeit ein nächstes Mal unter Beweis zu stellen.

Abstieg mit Rückblick auf den imposanten zweiten Gratturm

Da die Tour an dieser Stelle ihr unerwartet jähes Ende fand, hatte der Verfasser Zeit nach Ausstiegen und Alternativen zu suchen und die Hanggegenseite aufzusuchen, um „Recognoscirungen“ [i. S. Barths, Gsallers u. a., Anm. d. Verf.] durchzuführen. Dabei entstanden bärige Bilder des Nordwestgrates zur Sagwandspitze.

beim Abstieg die Ostseite der Scharte und des ersten Gratturms inspiziert

Einen Ausstieg bzw. eine Abkürzung zur Alm bildet im Rückzug die Rinne von der Scharte nach dem ersten Gratkopf hinab. Sie ist nicht besonders steil und führt über wenig Blockwerk und Geröll gleich auf begrünte Wiesen des oberen Almgeländes. Unten beachte man die vielen Gerinne, die als Quellen aus dem Boden schießen und suche einen nicht zu sumpfigen Abstieg zur Alm.

Scharte hinab zur Zeischalm

Die im Führer angegebenen 5 Stunden für den Nordwestgrat muß man ab der Zeischalm auf den Gipfel rechnen. Bis zur Umkehr vor der Hohen Warte und mit der Begehung der Talgegenseite war der Verfasser 7 Stunden unterwegs (ohne die restlichen 300 Hm bis zum Gipfel und deren Abstieg).

nach der Hohen Warte dürfte feinstes Gratgelände mit leichter Kletterei zu erwarten sein

Zum Abschluß jeder Tour im hinteren Valsertal empfiehlt sich die Einkehr im Gasthaus Touristenrast, oder mit neuerer Bezeichnung Jausenstation Touristenrast, einem letzten klassischen Stützpunkt des frühen Alpinismus (keine eigene Webseite, aktuelle Infos auch auf facebook).

Mils, 12.09.2020

1diese Schreibweise des Familiennamens des Erstbegehers ist in der 6. Auflage 1970 des AV-Führers Zillertaler Alpen sowie in vielen heimischen Berichten und Artikeln wenig gebräuchlich, jedoch die richtige.
Es gibt kaum einen Alpinisten dessen Familienname in der Literatur in derart vielen Varianten falsch publiziert wurde, sodaß sogar die Internet Recherche in mehreren Schreibvarianten nötig wurde. Alle folgenden Varianten und Kombinationen seines Familiennamens werden angetroffen: Hechenbl(a)(e)i(c)kner
Der Verfasser hat aufgrund der Eindrücke während der Begehung des Grates bis vor die Hohe Warte sowie in ersten Recherchen im Internet gesteigertes Interesse an der Person des Erstbegehers gefunden und plant über ihn einen eigenen Bericht zu erstellen und zu veröffentlichen.

 

Schitour Kluppen, 2.936m

Obwohl sich über Geschmäcker streiten läßt, kann mit Recht behauptet werden, daß der Kluppen die schönste und auch anspruchsvollste Gipfelschitour im hintersten Valsertal bietet. Nach einem bereits abwechslungsreichen Aufstieg über die untere Talstufe zur Zeischalm, mit der spannenden Querung bei den Wasserfällen, wartet der knapp 10 km² große Almkessel mit wunderschöner Umrahmung auf, deren südliches Ende angesteuert wird und ein rassiger letzter Aufstiegsteil zum Schidepot gemeistert werden muß. Die weit offene und reizvolle Landschaft in der Felsumrahmung gewinnt mit dem Anstieg stets neue Gesichter.

Kluppen, 2.936m

Der obere Teil der Schitour mag bei entsprechender Lawinenwarnstufe im Hochwinter ob seiner Steilheit und den mächtigen glatten Flanken der Gratabstürze vom Kluppen zum Kraxentrager ein nicht ungefährliches Abenteuer sein, das sorgfältiger Planung bedarf.

Rückblick vom Schidepot

Im obersten Teil, etwa von 2.800 m bis zum Gratsattel, herrscht eine durchschnittliche Hangneigung von 35° mit Spitzen von 42°, die das letzte schwere Aufstiegsstück unter Schi vor der kurzen und ebenfalls steilen Begehung des Grates ab dem Schidepot bildet. Wir schafften es selbst im April gerade noch ohne Harscheisen, obwohl gegen elf Uhr bereits schon eine geraume Weile sonnenbeschienen.

Restaufstieg über gut 40m im Fels

Ein grandioser Ausblick, vor allem auf den offen einsehbaren südlichen Landesteil mit den krönenden Riesen am Beginn des Zillertaler Hauptkammes, sowie auf die interessanten Gipfel westlich davon, im Kreuzspitzkamm, stellt einen weiteren Reiz an der tollen Tour auf den Kluppen dar.

Panorama Südost bis Südwest vom Kluppen

Komfortabler, als vom geräumigen Parkplatz der Geraerhütte bei der Nockeralm los zu marschieren, geht es bei allen Touren im Valsertal eigentlich nicht. Die Schitour auf die Hohe Kirche und jene auf den Kluppen genießen das Privileg dieser kostenlosen1 Einrichtung, jedoch ist es mangels Verfügbarkeit – mit Ausnahme beim Steckholzer, zu dem ein kleiner Umweg von kaum zehn Minuten Fahrt kulinarisch lohnt – nicht möglich, dem Tal eine Gegenleistung durch eine Einkehr nach der Tour zukommen zu lassen.

Tragestrecke ab der Nockeralm

Mitte April ist die Schitour auf den Kluppen nicht zu früh im Jahr, je nach genereller Schneelage aber auch nicht zu spät, wie man von eingefleischten Wipptaler Tourengehern erfährt, die noch zu Beginn des Mai den Aufstieg mit Winterausrüstung unternehmen. In unserem Fall betrug der Aufstieg mit dem schweren Rucksack bis zur Querung der Wasserfälle knapp mehr als eine Stunde bzw. 490 Hm.

Ende der Tragestrecke

Am Weg dorthin stiegen wir teilweise über den Sommerweg, dessen Schneeauflage im Wald teilweise komplett mit Nadeln, Moos und Flechten überdeckt war, sodaß der teilweise noch mächtige Schneekörper darunter vor der Schmelze geschützt war und wir kaum eingebrochen sind. Den Aufstieg trockenen Fußes verdankten wir an diesem herrlichen Tag der Nachtkälte, da die Temperatur zur Zeit des Abmarsches bereits deutlich über dem Gefrierpunkt lag. Beim Abstieg, selbst im schattigsten Teil des alten Waldes mit herrlich anzusehenden, knorrigen Tannen-, Kiefern- und Lärchenbeständen brachen wir schon bis weit über die Knöchel ein.

vorbereiten auf Schitourenmodus

Kurz vor der Querung, an der die Hangneigung und –ausrichtung noch einigermaßen gegen die Frühjahrssonne geschützt ist, erlaubt der Blick eine erste detaillierte Einschätzung des Verlaufes der Tour im oberen Teil, ohne jedoch den schönsten Teil zu enthüllen, der auch weiter drin im Talkessel optisch nicht preisgegeben wird und bei dem viele Berichte von der „Rampe“ reden. Die vermeintliche Rampe präsentiert sich später in Wahrheit als alles andere als eine Rampe im klassischen Sinn.

jenseits einige Meter aper

Am ersten – dem zahmeren – Wasserfall konnten wir nach einer guten Stunde Fußmarsch aufrüsten (per Mitte April) und die Route ohne Unterbrechung im Schitourenmodus fortsetzen. Die bereits vielfach umgewandelte Schmelzschneeoberfläche über den steilen Wasserlauf fanden wir genügend rau und plastisch vor, um ohne Harscheisen aber mit festem Schritt griffigen Halt zu finden.

oben flüssig unten eishart

Um die kleine Felsrippe nach dem zweiten Wasserfall herum öffnet sich der schöne weite Hochkessel zunächst nach Süden und Westen, und das Gelände gibt nach wenigen Gehminuten in Richtung Zeischalm – genau: zur Inneren Zeischalm – den Blick auch auf dessen Ostseite, Richtung Hohe Kirche frei. Über Streifen von ausgeaperten und bereits aufgerichteten Latschen hindurch suchten wir günstige Passagen mit noch durchgehender Schneeauflage, und die noch wenigen voll ausgeaperten Stellen ohne Schneeband durchschritten wir kurzerhand auf den Latschen.

in der Zeischalm angelangt

Etwas tiefer als die Alm läßt man die selbe am Weg nach Süden buchstäblich links liegen und erreicht über den folgenden steilen Buckel ein eher flaches Gebiet „Wildau“ genannt, auf dessen Rand sich ein kleines Hüttchen unterhalb der aufragenden Felsen befindet. Schon weit vor dem Hüttchen bogen wir in Richtung Westen ansteigend auf den langen Hang unterhalb der sogenannten Rampe ab, etwa dem 2.020m Höhenlinienverlauf folgend.

am Weg in die „Wildau“

In langen Zügen mit wenigen Spitzkehren arbeiteten wir uns den beeindruckend langen Hang hinauf, der den Großteil dieser 400 Hm messenden Stufe, bis zum ehemaligen Kluppen Ferner hin bildet. Während dem Aufstieg werden die Aussichten nach Norden und Osten immer schöner, sodaß oben, auf 2.400m, bereits ein Großteil der südlichen Tuxer Alpen betrachtet werden kann.

unterer Teil des langen Hangs, oben die „Rampe“ von rechts nach links steigend

Im Aufstieg dorthin fanden wir eine genügend harte Firnoberfläche, bis auf die längere Querung auf eine Rippe westlich des Hangs bevor wir auf 2.400 m eine wieder flachere Stelle erreicht hatten.

hinter uns öffnen sich die Blicke in die Tuxer Alpen

Über den schon seit geraumer Zeit sonnenbeschienenen Hangteil der Querung merkten wir eine deutliche Tauwirkung mit sporadischen Einbrüchen in die darunterliegende, eher faule Schneedecke. Knapp an den Seitenmoränen des ehemaligen Kluppen Ferners führt die Route über einen weiten Couloir auf den ehemaligen Ansatz des Eises.

Querung am oberen Ende des langen Hangs

Allmählich, während der Couloir im Aufstieg breiter und flacher und an der Kuppe der Schnee um zehn Uhr morgens weicher wird, öffnet sich der Blick auf den ehemaligen Ferner. Die vermeintliche Rampe wird zum gemuldeten Kar dessen östliche Begrenzung aus Sicht von der Zeischalm eine Kante bildet, die, nach oben linienartig steigend, einen rampenartigen Eindruck vermittelt, in Wahrheit aber die ehemalige Gletschermulde bildet. Im Aufstieg bleibt man im Tiefsten der Muldung und ist deshalb von der Zeischalm aus geraume Zeit nicht zu sehen.

v. li.: Hohe Kirche, Hohe Warte, Sagwandspitze und Hohe Wand

Über den ausgeaperten Kluppen Ferner findet sich äußerst wenig, eigentlich nur eine einzige verwertbare Literaturinformation im Internet. Im Archiv der Gletscherberichte auf der Homepage des Alpenvereins befinden sich Unterlagen bis zurück in das Jahr 1920, darin jedoch keine Erwähnung des Kluppen Ferners.

im Couloir

Das liegt mit Sicherheit an seiner kaum bedeutenden Größe, möglicherweise aber auch daran, daß er noch vor dem vertieften Internetzeitalter verschwunden ist. Der etwa gleich mächtige, knapp 2.000m nordöstlich entfernte Aschaten Ferner, heute ebenfalls ausgeapert, wurde noch im AV-Kartenwerk, Stand 1994, genannt).

oberhalb dem Couloir, die Fernermulde von unten betrachtet; das Gipfelkreuz bereits deutlich sichtbar

Die einzig recherchierbare Information über den Kluppen Ferner entstammt dem Tirol Atlas2, ist eine recht gute und bietet eine genaue Angabe seiner flächenmäßigen Größe im Jahre 1989, sowie den prozentualen Rückgang (48,9%) seit 1969.

Rekonstruktion Größe Kluppenferner 1969 und 1989

Somit läßt sich die einstige Fläche (anno 1969) mit etwa 14,5ha berechnen womit im Orthofoto von Tiris3 die Konturen maßstäblich nachempfunden werden können und ein Eindruck der Verhältnisse vor 50 und noch vor 30 Jahren entsteht – Bild mit den nachempfundenen Gletschergrößen in der Bildergalerie; man beachte dabei noch vorhandene Schneereste (Kartenstand Orthofoto 20194), die klägliche Reste der ehemaligen Vergletscherung darstellen könnten.

die Aussicht nach Osten wird immer besser, v. li.: Lizumer Reckner, Geier, Kalkwand, Hohe Kirche, Kleiner Kaserer, Hohe Warte, dahinter Fußstein, Sagwandspitze und Hohe Wand

Mittlerweile, kurz nach zehn Uhr, stand der Großteil der Gletschermulde bereits unter Sonne, die Schneeoberfläche jedoch aufgrund des spitzen Bestrahlungswinkels in tadellosem Zustand, kaum aufgeweicht und vor uns lag noch ein schönes abwechslungsreiches Stück von etwa 400Hm.

mitten in der Fernermulde und von der Zeischalm aus wieder sichtbar

Die durchschnittliche Steigung im Fernerbecken bleibt zwar unter 30°, die Schlußsteigung auf die nächste Geländestufe erreicht jedoch etwas mehr als 30°. Oben (ca. 2.740m) flacht der Kluppen Ferner ab und bildet sogar eine leichte Mulde von etwa 150 x 100m mittleren Ausmaßes, deren nördliche Begrenzung wir im Bogen nach Süden zum Aufstieg nutzten, um die steile Südflanke zu umgehen, vor allem aber, um unter Sonnenbestrahlung aufzusteigen.

etwa nach zwei Drittel des Aufstiegs in der Fernermulde

Wie wir später feststellten, als wir ein kurzes Stück einer Spitzkehre im oberen Teil darin ausführten, war der Südhang noch ganz schön hart und harscheisenverdächtig. Die Höhe mit etwa 2.850m wirkte sich somit deutlich auf die Schneedecke aus.

gewaltige Mauern zum Grat Kluppen/Kraxentrager

Das letzte Stück auf dem Halbkreis der nördlichen Muldenbegrenzung und dem steilen Schlußhang ist ein Sahnestück mit Charakter, dessen Charme man an Tagen wie dem unseren erliegt und in das man sich verlieben muß.

Ausmuldung mit Schlußhang etwas verzerrt im Panorama

Einer quadratischen Funktion gleich nähert sich der schöne Hang seiner maximalen Steigung  und bereitet den Ersteiger gleichsam auf das schweißtreibende Mittelstück vor, um nach der größten Hangneigung mit über 40° gegen das Ende am Grat hin wieder etwas flacher zu werden – von unten betrachtet ein Traum!

malerischer Schlußhang – Highlight im Aufstieg

Im oberen Mittelstück befand sich eine schon größer ausgeaperte Fläche, die wir mit mehreren kurzen Spitzkehren im Aufstieg linksseitig überwanden, bevor darüber wieder weitere Spitzkehrenstücke möglich waren. In diesen weiteren oberen Stücken trafen wir auf die o. e. harten Partien, die wir an der Grenze zur Verwendung von Harscheisen empfanden.

im aperen Fleck bei maximaler Steigung

Am Gratkamm – auf dem kurzen Abschnitt des Schidepots wie zur Rast und zum Abfellen gemütlich abgeflacht – erfreut zuerst der Blick auf die Gegenseite des Pfitschtals mit den großen Erhebungen südöstlich, allen voran auf Hochferner (3.470m) und dem in seiner Flucht liegenden, gerade noch sichtbaren Gipfelspitz des Hochfeiler (3.509m), dem höchsten der Zillertaler Alpen in 10km Entfernung.

hart im schattigen Teil und grenzwertig für Harscheisen

Weitere 40 Hm trennen das Schidepot vom Gipfel des Kluppen und diese Strecke beinhaltet ein paar kleine Züge leichter Kletterei über Stufen zwischen ein und zwei Meter Höhe. Steigeisen generell nicht erforderlich, je nach Schneeverhältnissen jedoch ratsam. Der Aufstieg oberhalb der Kletterstelle am Grat kann von unten nicht eingesehen werden.

Vorfreude auf den Gipfel macht sich breit

Bis zum deutlichen Aufschwung auf den Gipfelhang erfolgt der Anstieg nordseitig ein paar netter Grattürme als Gehstrecke bis zur höchsten Kletterstelle, die ebenfalls vom Schidepot aus schon erkannt wird.

Gipfelanstieg rechts von einer Gratzinne zur etwas anspruchsvollen Stelle

Mit zwei Zügen wird die Kletterstelle überwunden und über knapp neben dem Grat auf der Südflanke des Gipfelhangs über ein paar unbedeutende Blockstufen von weniger als einem Meter Mächtigkeit bis zu einem mauerartigen Blockaufbau des kleinflächigen Gipfels aufgestiegen.

Aufstieg im oberen Teil nahe der Abbruchkante

Das kleine, konstruktiv gut durchdachte Gipfelkreuz aus Aluminium hat offenbar 28 Jahre ohne sichtbare Schäden überstanden und dürfte ein Gedenkkreuz für zwei junge Burschen sein, die sich wahrscheinlich gemeinsam auf Tour befanden. Über die „HG Lagrein“ ließ im Internet nichts in Erfahrung bringen und das Gipfelbuch am Felsmauerfuß etwas unterhalb des Kreuzes gab auch keinen Aufschluss darüber.

über aperes Blockwerk zum Gipfelkreuz

Auf dem schönen grauen blockigen Granitgneis neben dem Kreuz am Kluppen ließen wir uns eine Weile nieder und genossen die Aussicht.

Aufstieg nahe der Abbruchkante von oben

Dem Pfitschtal gegenüber liegen etwa gleich hohe Gipfel mit prächtigen Schitourenzielen, beispielsweise das Rote Beil, leicht südöstlich gegenüber, oder die Grabspitze genau im Süden.

schöner Übergang zum Kraxentrager

Richtung Westen würde der Grat zum Kraxentrager einladen und an seiner Nordflanke in der Tiefe kann man einen interessanten, ziemlich horizontal verlaufenden geologischen Einschub mit etwa einem Meter Mächtigkeit erkennen, gleich wie am Strahlkogel in den Stubaiern.  Ob es sich dabei auch um ein Quarzband handelt?

Blick vom Kluppen nach Osten, v. li.: Kleiner Kaserer, Großer Kaserer, Fußstein und gleich daneben Olperer (6,6km), Sagwandspitze mit rechts daneben das Spitzl vom Schrammacher und rechts Hohe Wand

Im Norden liegt der Kluppen Ferner tief unter dem Gipfel und die gesamte Abfahrt zur Zeischalm kann überblickt werden.

Tiefblick auf den ehemaligen Kluppen Ferner – unser Aufstieg

Östlich anschließend an den die Zeischalm einrahmenden Ausläufer erheben sich die hohen Gipfel im Tuxer Hauptkamm mit Schrammacher, Fußstein und Olperer.

v. li.: Hohe Wand, Großer Möseler (13,7km), Hochferner/Hochfeiler und Östl. sowie Westl. Hochwart

In den Tuxern im Nordosten verwundert zunächst ein imposant wirkender Gipfel, den man nicht in dieser Mächtigkeit erwarten würde und der optisch höher aussieht als der Lizumer Reckner (2.886m), der höchste Gipfel in den Tuxern. Nach genauer „Recognoscirung“, um einen Terminus der Alpenpioniere zu verwenden, stellt sich aber rasch heraus, daß es sich um die, dem Lizumer Reckner sogar noch etwa 1,5km weiter vom Kluppen entfernte, Kalkwand handelt und die um 60m niedriger ist.

ab Bildmitte südlich gegenüber Rotes Beil, ein toller Schitourengipfel, in der Ferne der Peitlerkofel (42km), Wurmaulspitze, Langkofelgruppe (55km)

Weil es so schön war verbrachten wir noch ein gute halbes Stündchen am Schidepot bei einer Jause und Höhenmedizin. Gegen 13 Uhr entschieden wir die Abfahrt anzutreten und genossen den mittlerweile au point aufgefirnten Gipfelhang in die Mulde hinab.

mit zwei Zügen zu meistern

Ein weiteres schifahrerisch schönes Stück bot der obere Kluppen Ferner. Er lag den Vormittag über meist im Schatten und präsentierte sich dadurch mit ähnlich  guter Firnoberfläche bis über den Mittelteil hinab.

eine Abfahrt wie im Bilderbuch…

Gegen Ende der Abfahrt am Ferner wurden Schwünge immer schwerer zu drehen mit dem Höhepunkt im Couloir, in dem der Firn förmlich in polstergroßen Portionen weggeschoben werden mußte – eine schweißtreibende Angelegenheit.

traumhafte Verhältnisse nun im Kluppen Fernerbecken

Überraschenderweise besserte sich die Schneequalität nach der langen Querung wieder, was uns den letzten langen und breiten Hang zu einem tollen Abfahrtserlebnis werden ließ und es wert war in einer kurzen filmischen Szene festgehalten zu werden.

Nachträglich gesehen hätten wir sogar die Abfahrt östlich des Ferners nehmen können, die der ortskundige Kollege, der vom Schidepot abfuhr, als wir selbiges erreichten, genommen hat und das wir im Rückblick von unten als eine bärige Alternative erachteten. Jetzt ist uns deren Verlauf der Rinnen bekannt und bei der nächsten Begehung sollte es möglich sein die richtige Richtung einzuschlagen.

auf 2.100m der Schnee schon beträchtlich weich geworden

Über die Hänge der Zeischalm hinab erlebten wir trotz der langen Sonneneinwirkung halbwegs gute Schneebedingungen und trafen auf kein aperes Fleckchen, das uns zum Abschnallen zwang.

Rückblick auf den Kluppen oberhalb der Zeischalm

Die Abfahrt endete nach einer guten halben Stunde nach dem ersten Wasserfall am Weg ins Tal, wo wir unsere Aufstiegspatschln deponiert hatten und auch zusammenhängende Schneeflächen abrupt verschwanden.

Querung der wilden Wasser unterhalb der Zeischalm

Der interessante Hauptteil einer grandiosen Schitour ging somit zu Ende und wir freuten uns bereits auf ein Bier irgendwo auf einem Parkplatz einer heimischen Kaufhauskette mit Kühlschrank, verstohlen in der letzten Ecke, getarnt hinter geöffneten Kofferraumdeckeln jedes Fahrzeugs, als versprengte Guerilleros in der hysterischen Virenzeit 2020 in der der Fürst seine Häscher auf Bergsteiger hetzte und sie jagen ließ, weil er befürchtete seine Intensivbetten seien in Gefahr belegt zu werden.

am Schuhdepot angelangt, von hier Tragestrecke zur Nockeralm

Der Abstieg nahm wie der Aufstieg auch eine Stunde in Anspruch wobei die letzten Schneefelder am Steig nun schön aufgeweicht waren und manchen Einbruch verursachten, aber auch der Weg der Einheimischen auf die Äußere Zeischalm recognoscirt werden konnte.

der Kluppen in Bildmitte von der Nockeralm aus

Für die Schitour mit Fußmarsch bis zu den Wasserfällen und ab dort hinunter rechne man etwa 7:30 Stunden mitsamt Pausen von knapp eineinhalb Stunden.  Über 6,3km sind knapp 1.600m zu überwinden. Steigeisen sollte man bei gefrorenen Verhältnissen, bzw. vorsichtshalber immer dabei haben, andernfalls könnte die Gipfelbesteigung darunter leiden oder das Risiko unnötig erhöht werden.

Mils, 18.04.2020

1 April 2020
2 Tirol Atlas, Institut für Geographie: https://tirolatlas.uibk.ac.at/maps/interface/thema.py/sheet?lang=de;id=1703
3 tirisMaps:  https://maps.tirol.gv.at/externalcall.jsp?project=tmap_master&x=96200.09948353228&y=208476.57903649125&scale=4000&rotation=0&view=Start&basemapview=orthofoto_labeling&user=guest&group_id=TMAPS-Gast&client=core&language=de
4 Land Tirol :
https://lba.tirol.gv.at/public/karte.xhtml
In diese hervorragende Karte läßt sich auf den Kluppenferner zoomen und historisch Layer einblenden, die den Eisschwund deutlich dokumentieren (1974 bis 2016)

 

Schitour Hohe Kirche, 2.634m

Schon bei der Fahrt ins Valsertal fällt in Innervals der langgezogene Bergrücken mit dem frontalen Felsabbruch auf, dessen nordwestlicher Gipfel über dem Felsabbruch Hohe Kirche genannt wird und die unser Schitourenziel darstellt. Im weiteren Verlauf des Bergrückens, den die Sagwandspitze nach Nordwest entsendet, befindet sich die Hohe Warte, ein von der Schitour zur Hohen Kirche aus schön anzusehender Zacken im begehbaren Grat.

Hohe Kirche, 2.634m

Die Schitour auf die Hohe Kirche beginnt am Parkplatz der Geraerhütte, dem mit dem Fahrzeug letzt erreichbarem Punkt in Innervals. Wir konnten Mitte März direkt am Parkplatz in die Schi einsteigen und den Weg, vorbei an den urigen Kaserhütten der Nockeralm in Richtung Zeischalm starten.

Skulptur der Bergwacht Vals vor Fußstein, Alpeiner Scharte  und Schrammacher

Nach einem kurzen Waldstück betritt man eine größere Freifläche im enger werdenden Tal und am Ende dieser setzt die Aufstiegsroute kurzzeitig über den Zeischbach, auf sein orografisch linkes Ufer, dem wir einige Minuten folgten (dies ist die spätere Abfahrtsstrecke).

Freifläche vor dem „Schwarzen Brunnen“

Das nun recht enge Tal  steigt steiler an und etwa an der Stelle an der der bärige vereiste Zeischbach Wasserfall rechter Hand erscheint bot sich im Aufstiegssinn links die Möglichkeit auf steile Wiesen mit Strauchgestrüpp und Birkenbäumchen aufzusteigen, um die Steilstufe zum Sommerweg zur Zeischalm zu überwinden. Hierzu verwendeten wir Harscheisen.

Wasserfall erreicht, links weiter

Alternativ dazu kann man am Ende der Freifläche nach dem Waldstück beim „Schwarzen Brunnen“ direkt den Sommerweg durch die Schussgrube wählen und steigt dort bald mitten im Wald auf.

am Wasserfall – Harscheisen montiert

Durch die recht freien Passagen zwischen den Birken stieg es sich prächtig, allerdings muß die Route sorgsam gewählt werden, um allzu steile Passagen zu vermeiden. Bald tauchten Zirben auf und ein eher lichter Wald mit bereits aperen Stellen durch die im März schon längere Sonneneinstrahlung im oberen Teil bildet sich aus. Nach wenigen Minuten Aufstieg im Wald hatten wir den Sommerweg erreicht.

Aufstieg im Birkenwäldchen

Der Sommerweg steigt etwas flacher und querend in Richtung dem Talschluß zu, der das Ende der Steilstufe bildet, zu deren Überwindung eine gute Viertelstunde benötigt wird. Der Grund dafür liegt in der Querung von zwei Wasserfällen durch steile Karmulden, die, je nach Verhältnissen und vor allem am frühen Morgen, Harscheisen erforderlich machen (wir hatten sie bereits in Verwendung und konnten die steilen Querungen dadurch mühelos durchschreiten) und die Rippe zwischen den Mulden auch bei ausgeapertem Weg das Abschnallen.

kurz vor dem Sommerweg

Bei unserer Begehung war die gesamte eindrucksvolle Strecke mit Schi begehbar. Die Querung ist für versierte und sichere Tourengeher machbar, wer Angst vor steilen Querungen hat möge von der Schitour Abstand nehmen.

am Sommerweg weiter

Nach der Steilstufe (etwa 1.850m) wechselt das Gelände über in einen riesigen Hochtalkessel, der nebst der Schitour auf die Hohe Kirche auch eine zweite, die Schitour auf den Kluppen zu bieten hat, die erstere sowohl in Länge als auch im bergsteigerischen Sinne überbietet und von der auf diesem Blog demnächst berichtet wird.

die zweite Mulde mit dem größeren Wasserfall

Das Hochtal, das vorwiegend durch die Flächen der Zeischalm bestimmt wird, misst etwa 3,8km in Durchmesser Ost (Sagwandspitze)/West (Lange Wand) und etwa 2,9km Nord (Hohe Kirche)/Süd (Kluppen).  Etwa am Talausgang befinden sich die Gebäude der Inneren und auf der orografisch linken Seite des Zeischbachs jene der Äußeren Zeischalm. Eine weitere kleine Schaferhütte gibt es unterhalb des Ausläufers vom Kluppen herab.

die Kollegen in der Rippe

Unser Anstieg auf die Hohe Kirche führt zunächst mit mittlerer Steigung südöstlich durch Latschengelände hinauf zur Inneren Zeischalm (1.930m) und wendet sich dort nach Osten, über wunderschönes freies Schigelände bis unter die Reisen vom Ausläufer von der Hohen Warte herab, die „Roate Egge“ genannt wird.

die Steilstufe überwunden und Anstieg im unteren Almgelände

Der unmittelbaren Alm sollte man ein paar Minuten Aufmerksamkeit schenken, hier war ein Idealist am Werk verschiedene Symbole am Berg nach seinem Empfinden zu gestalten und es lohnt sich diese näher zu betrachten sowie selber zu Ideen dazu inspiriert zu werden.

Innere Zeischalm, 1.930m

Das Gelände nach der Zeischalm sieht hinsichtlich der Steigung weniger fordernd aus als es tatsächlich ist. Legt man von der Alm einen Schnitt in die direkte Linie bis unter die deutlich steiler werdenden Hänge vom Grat herab (~2.400m), dann erhält man auf der knapp 1,2km langen Strecke einen Höhenunterschied von 475m und eine durchschnittliche Steigung von immerhin 22°. Knapp vor dem Erreichen der 2.400m Marke werden erste Spitzkehren im steileren Gelände notwendig.

Ausblick auf das schöne Aufstiegsgelände vor der Hohen Kirche

Der Aufstieg dorthin liegt komplett unter Sonneneinstrahlung, sowie bereits kurz nach der Talstufe in Richtung Zeischalm. Dies kam uns gelegen, denn der Tag war durch frische Temperaturen und Südföhn geprägt, vor dem das Gelände im Talkessel aber weitgehend geschützt blieb und dessen Intensität an den Schneefahnen über dem Grat abgeschätzt werden konnte.

nette Glockentürmchen nach der Alm

Der Aufstieg bis auf die steile Flanke zur Hohen Kirche kann auf der großen Fläche nach Belieben gewählt werden und auch wir verließen kurz nach der Alm die Spuren der Vorgänger und suchten mehrere eigene Anstiege, je nach individueller Empfindung des Aufstiegsgenusses an diesem herrlichen Vormittag.

Aufstieg über die weiten Flächen oberhalb der Alm; in Bildmitte im Hintergrund das „Roate Egg“

Nach einer knappen Stunde von der Zeischalm erreichten wir auf etwa 2.400m die Ausläufer kleiner Lockerschneerutschungen von steilen Felsengelände der Hohen Warte herab denen im Aufstieg  durch genügend breites Gelände ausgewichen werden konnte. Dort steilt das Gelände auf und es begann ein kurzer Aufstieg auf den Gratrücken unter Spitzkehren.

schöner Aufstieg auf etwa 2.200m durch Felsblöcke hindurch

Die Spitzkehrenstrecke endet etwa nach 100Hm, auf ca. 2.550m, noch unterhalb des Gratrückens, jedoch in bereits flacherem Gelände, in dem die Querung zum langgezogenen Gipfelbereich der Hohen Kirche beginnt.

Spitzkehren beginnen auf etwa 2.400m

Eine letzte S-Kurve durch die gleiche Geländeausprägung leitet in angenehmer Steigung über etwa 10min Aufstieg auf die Grathöhe – dort mit Kammausprägung – über, die uns mit einem tollen Blick auf Fußstein, König Olperer und den Großen, sowie den Kleinen Kaserer belohnte.

Verlauf Steilhang zum Gratkamm

Letzte 10min Aufstieg am Gratkamm leiten über wenige verbleibende Höhenmeter zum Gipfel der Hohen Kirche über, der durch ein massives Steinmandl mit Holzkreuz, sowie durch ein zweites Steinmandl und eine interessante Gedenkskulptur der Bergwacht Vals geziert wird.

Querung zum Gratkamm

Im Sockel der Skulptur, unter dem netten Sitzbankl, befindet sich ein gemauertes Fach mit stirnseitigem Edelstahltürchen und nebst dem Gipfelbuch – manchmal, so wird berichtet – einem Flachmann mit Höhenmedizin als Inhalt.

am Gratkamm angekommen, Blick Richtung Gipfel der Hohen Kirche

Der Ausblick vom dem fast zentral im inneren Valsertal gelegenen Gipfel der Hohen Kirche ist phänomenal.  Wir genossen ihn allerdings kaum zwanzig Minuten, da die Temperatur mit dem Föhn ein äußerst unangenehmes Gemisch bildete, das uns zu einem längeren Gipfelaufenthalt wenig animieren konnte.

am Gipfelsteinmandl der Hohen Kirche

Nach einem fotografischen Rundblick verließen wir den Gipfel und querten hinab zum Sattel, bei dem die Abfahrt über den schönen sonnenbestrahlten Steilhang begann.

gewaltiger Blick zu Schrammacher, Sagwandspitze und Hohe Wand rechts

Richtung Südosten gibt es die Gipfel der Schitoutren in Innervals auf einen Blick zu sehen. Da ist die Königstour auf den Kluppen, einem „fast-Dreitausender“ im Grenzkamm zu Südtirol, dann das unübersehbare Spitzl des Sumpfschartls mit den schwarzen Amphibolitfelsen im Grat zur Saxalmwand und die trennenden Jöcher Nieder- und Hochvennjoch vor dem Silleskogel:

Aussicht nach Südosten auf Kluppen, Kraxentrager, Sumpfschartl und Saxalmwand

Durch die zentrale Lage der Hohen Kirche im Tal bietet der Gipfel auch einen bärigen Tiefblick auf das Valsertal in seiner gesamten Länge.

Blick von der Hohen Kirche zur Saxalmwand und zum Silleskogel (linke Bildhälfte) und ins Valsertal

Zwischen aperen Felsblöcken im Slalom hindurch ging die Fahrt, die steilste Passage ansteuernd, auf leicht aufgetauter Firnoberfläche hinab.

bärige Abfahrt; zwischen den Felsblöcken hinunter geschwungen

Der Steilhang und die flachere breite Strecke hinab zur Zeischalm steigerte den Schitag zum reinsten Hochgenuss und Sonne, Ausblick, sowie die angenehmere Temperatur im Talkessel der Alm hinterließ einen kaum vergesslichen Eindruck.

am Beginn des Steilhangs

Nach der Alm bemühten wir uns nicht zu tief hinab zu fahren, denn der Sommerweg ist nicht sogleich am Hang zu sehen und im Rausche des Abfahrtsfeelings übersieht man den selben nur zu schnell und fährt zu tief in unfahrbares Gelände ab.

am Ende des tollen Steilhangs

Nicht alle Passagen in der Steilstufe sind unfahrbar, jedoch setzen die wenigen steilen Schneisen genaue Kenntnis voraus, um nicht in den Felsen hängen zubleiben und einen mühevollen Rückweg auf den Sommerweg unternehmen zu müssen.

herrliche Abfahrt im weiten Gelände der Zeischalm

Mit dieser Sorgfalt und den sichtbaren Aufstiegsspuren erreichten wir den Sommerweg punktgenau und konnten ihn komplett mit Schi befahren.

wieder an der Zeischalm

Die zweite steile Rinne (im Abfahrtssinn), die als Abfahrt beschrieben wird, hat Alfons im oberen Teil befahren, wechselte jedoch nach wenigen Schwüngen auf die Aufstiegsstrecke zurück, da er durch die Lawinenreste eine Befahrung alles andere als ein schönes Abfahrtserlebnis vorfand.

mittlerer Teil des Aufstiegs zum Kluppen – selbiger ganz links oben im Bild

Diese Rinne mag nach genügend Neuschneefall im Hochwinter ein besonderes Erlebnis darstellen, nicht jedoch im Frühjahr nach den ersten Lawinenrutschungen vom darüberliegenden Wasserfall.

auf der Rippe nach der Querung des zweiten Wasserfalls bei der Abfahrt

Da zeigte sich die Abfahrt im Wald und am Steilhang durch die Birken schon von einer wesentlich angenehmeren Seite. Unter Sonnenschein fuhren wir den Hang bis zum schattigen Bachbett unten den großen Wasserfall des Zeischbachs ab, praktisch genau unserer Aufstiegsroute folgend.

zweiter Wasserfall in der Abfahrt

Die letzte Passage führte uns durch das enge Bachtal hinaus zur großen Freifläche bei der der Forstweg am Schwarzen Brunnen vorbeiführt und der Alternativaufstieg beginnt und die steile Abfahrt ihr Ende findet. Der Rest der Abfahrt erfolgt auf dem Weg durch den Wald bis zum Parkplatz vor der Nockeralm.

tolle Hänge

Zum Abschlußbier mußten wir an der Tankstelle in St. Jodok im kalten Südföhn am Parkplatz ausharren. An diesem Tag, als wir gerade mitten im Aufstieg waren, wurden die Tiroler ihrer demokratischen Freiheitsrechte beraubt und von der Landesregierung eine de facto Ausgangssperre über das ganze Land verhängt.

Rückblick auf die Abfahrt nach dem Sommerweg

Die Maßnahmen hatten im Allgemeinen kriegszustandähnlichen Charakter und auch die Schließung sämtlicher Gastgewerbebetriebe an diesem Sonntag zufolge. Es wurden medial Angst und Schrecken über das Coronavirus verbreitet und das Land – nicht nur wirtschaftlich – in eine tiefe Depression gestürzt, vor allem als nach ein paar Tagen der Horror auf das gesamte Bundesgebiet ausgedehnt wurde.

an der Freifläche „Schwarzer Brunnen“

Die Tourdaten aus den Aufzeichnungen: Aufstieg 1.300m – 3:20h, Gesamtzeit 4:40h (incl. 20min Gipfelpause) bei einer Streckenlänge im Aufstieg von etwa 5km.

Mils, 14.05.2020