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Kleiner Bettelwurf – Südwestflanke und Südgrat

Alte Routen und Steige zu erforschen war uns immer schon eine beliebte Tätigkeit am Berg und heute waren es zwei eher kurze Klettereien die uns auf den Kleinen Bettelwurf führten, bzw. auch wieder hinunter.

Südgrat des Kleinen Bettelwurf

Südgrat des Kleinen Bettelwurf

Abseits von Normalanstiegen gibt es meist viel Neues zu schauen und wenn diese noch dazu neue mittelschwierige Kletterrouten beinhalten, dann lacht das Herz des Entdeckers.
Der Klier Karwendelführer von 1978 – damals noch ein umfassender Führer der, im Gegensatz zur heutigen Handhabung, alle Routen auf einen Gipfel enthielt, beschreibt, wenn auch recht knapp, zwei Anstiege auf den Kleinen Bettelwurf, die uns nicht bekannt waren und deren Entdeckung uns bei zufälligem Blättern in dieser alten Literatur spontan in ihren Bann zogen. Außerdem soll es nicht sein, daß in unserem unmittelbaren Heimatgebiet Routen – noch dazu beschriebene – existieren, die wir nicht kennen.

Aufstieg auf den Westgipfel des Kleiner Bettelwurf über den Südgrat

Aufstieg auf den Westgipfel des Kleiner Bettelwurf über den Südgrat

In Entschlossenheit, diese Routen einer Erstbegehung durch Andi und dem Verfasser dieses Beitrages zuzuführen starteten wir früh morgens gegen die Bettelwurfhütte. Perfektes Wetter und nahezu Windstille auch in größerer Höhe machte den Anstieg zum Vergnügen.

Klier Karwendelführer 1978

Klier Karwendelführer 1978

Für die Südwestflanke muß die Hütte westwärts passiert werden, um hinter die beschriebene „zweite Rinne, wenige Minuten nach der Hütte“ (es sind ca. 10min) zu gelangen, von der aus, rechts die leicht begrünte Rippe hinaufzieht, die den ersten Anstieg abseits des Steiges zum Lafatscher Joch bildet.

Blick zum Aufstieg zur Südwestflanke des Kleinen Bettelwurf

Blick zum Aufstieg zur Südwestflanke des Kleinen Bettelwurf

Der Aufstieg erfolgt im unteren Teil großteils über schuttbedeckten Wiesenflecken und zum anderen Teil auch nur über schuttbedeckten Schrofen bis zum erwähnten Trümmerfeld, ab diesem der Aufstieg bis zur Querungsmöglichkeit der ebenfalls erwähnten „hinaufziehenden Felsrippe“ etwas angenehmer wird. Teilweise kann man auch einen alten Steig erkennen, der sich zwischendurch wieder verliert, bevor man ihn nach ein, zwei Minuten wieder ausmachen kann und ihm weiter folgt.

Aufstiegsgelände zur Südwestflanke ca. 100Hm oberhalb der zweiten Rinne

Aufstiegsgelände zur Südwestflanke ca. 100Hm oberhalb der zweiten Rinne

Den Aufstieg bis zur Querungsmöglichkeit sollte man nicht zu weit oben vermuten und zu weit aufsteigen, denn dort wo man ihn als bequem erachtet ist man unter Umständen schon nahezu 50Hm zu hoch aufgestiegen und ärgert sich ein wenig über den vermeidbaren Höhenverlust, sobald der beschriebene Einstieg „in die erste steile Felsrinne von links gezählt“ sichtbar wird.

hinter dem Rücken im Vordergrund zeichnet sich die Südwestflanke ab

hinter dem Rücken im Vordergrund zeichnet sich die Südwestflanke ab

So ereilte auch uns dieses Schicksal und wir mußten in lockerem Schutt die Reise auf ihrer Breite von ca. 50m abwärts queren, schenkten dadurch nicht nur mühsam erstiegenes Terrain her, sondern erreichten den Felsgürtel auch nur unter viel Lärm vom abrutschendem Schutt, ca. 150Hm über dem Weg zum Lafatscher Joch. Eine Situation die der Bergsteiger versucht zu meiden wie der Leibhaftige das Weihwasser, ist sie doch bei geringem Höhenunterschied für andere gefährdend und vermittelt sie auch völlig unverschuldet einen gewissen Anfängereindruck, vor dem man sich vor – auch noch so weit entfernten und daher unerkannten – Beobachtern nicht wegstehlen kann.

Querung im Reisengelände mit losem Schutt

Querung im Reisengelände mit losem Schutt

Nachdem wir mit geizig abgegebenem Höhenverlust nun festen Fels erreichten, waren wir natürlich nicht an der originalen Einstiegsstelle, sondern ca. 20Hm darüber und mußten einen Übergang um die bereits aufgezogene Rippe in die Rinne – oder besser Schlucht – finden, die weiter unten in leichtem Gelände beginnt. Die Stöcke wurden endgültig verstaut und der anstehende Fels gemustert.

am Felsgürtel bei der ersten Rinne angekommen

am Felsgürtel bei der ersten Rinne angekommen

Eine furchtbar brüchige Passage mit steil abwärts geneigten schuttbedeckten Plattenstufen – der Albtraum eines jeden Kletterers – begrüßte uns im nicht ganz originalen Einstieg der Südwestflanke. Die kurze Passage bis zur Rinne in festerem Wettersteinkalk forderte gleich gute 10min, die sich wahrscheinlich die Waage gehalten hätten mit einem geringfügig weiteren Abstieg und dem originalen Einstieg. Das Schicksal des Entdeckers hielt uns fest im Griff.

Einstieg etwas zu hoch des Endes der Rinne

Einstieg etwas zu hoch des Endes der Rinne

Die folgenden und in der knappen Beschreibung „Steilabsätze“ genannten Kletterpassagen machten jedoch die zuvor erlebte Situation mit der unglücklichen Querung und dem unfreundlichen, gefährlichen falschen Einstieg wieder wett. Andi mit seiner phänomenalen Reichweite – die man sich niemals zum Vorbild durch Nachahmung machen darf, ohne in ernsten Schwierigkeiten zu enden, weil ein halber Meter, vom linkshändigen Griff zum diagonal gemessenen gestreckten rechten Tritt, einfach fehlt – sprang förmlich über eher glatte, wenig strukturierte Partien hinauf, während ich eher hinterher keuchte, jedoch unter nicht minderer Freude und Begeisterung über die nette Kletterei nach dem unfreundlichen Einstieg.

nach dem Einstieg in festerm Fels und deutlich ausgeprägter Rinne; unten kann man Steigspuren erkennen; sind sie jünger als der Führer die Querung "hinab" beschreibt?

nach dem Einstieg in festerm Fels und deutlich ausgeprägter Rinne; unten kann man Steigspuren als Querung erkennen; sind sie jünger als der Führer die Querung „hinab“ beschreibt?

Die Schwierigkeiten in der ca. 200Hm messenden Rinne hielten sich in Grenzen, aber einige Stellen III, mit mäßiger Ausgesetztheit können unsererseits bescheinigt werden. Zur besseren Verdeutlichung hier ein Link zum Video über den Aufstieg in der Rinne:

Kleiner Bettelwurf Südwestflanke

Sobald man sich in der Rinne wohlfühlt und Zeit und Raum beim Klettern vergisst, erfährt man auch gleich deren oberes Ende. indem sie sich recht plötzlich weitet und nach dem die letzten Felspartien in flacherem Gelände emporgestiegen wurden, ein wenig felsdurchzogener Schutttrichter sich öffnet, der zur eigentlichen Westflanke sich ausbildet.

typisches Gelände in der Rinne der Südwestflanke

typisches Gelände in der Rinne der Südwestflanke

Der Aufstieg in diesem ist richtig mühsam und die Entscheidung den Allradantrieb, durch die Verwendung der Stöcke, zu verwenden wird so lange hinausgezögert, bis der Anteil an festem Fels immer kleiner wird, je näher man sich gegen den Westgipfel des Kleinen Bettelwurf hinauf kämpft. Diese letzten ca. 150Hm zum Gipfel der fürwahr unerstrebenswerte Teil der Südwestflanke.

Andi am oberen Ende einer Steilstufe

Andi am oberen Ende einer Steilstufe

Während dieses Aufstieges in der richtig breiten Südwestflanke kann man recht gut den Südgrat, unseren auserkorenen Abstieg, erkennen und in dessen oberstem Teil auch so manches – für den Abstieg – zuversichtlich stimmendes Steinmandl.

am unteren Ende des Trichters der die Westflanke bildet

am unteren Ende des Trichters der die Westflanke bildet

Endlich am Westgipfel des Kleinen Bettelwurf angekommen kann man die im Führer genannte Aufstiegszeit von 2-3h eher nachvollziehen, als mit dem Maß des Blickes von der Hütte bis zum blitzenden Gipfelkreuz auf dem Ostgipfel des Kleinen Bettelwurfes gemessen.

Kleiner Bettelwurf Westgipfel

Kleiner Bettelwurf Westgipfel

Das alte kleine hölzerne Kreuz und die an diesem Tag phänomenale Weitsicht entschädigte uns für die unterste und oberste Partie auf der Route der Südwestflanke. Trotz der schönen Kletterei in der Rinne sprechen wir aber in völliger Übereinstimmung keine Empfehlung für die Südwestflanke aus, zu inhomogen sind die Einzelabschnitte und die Kletterei kommt eindeutig zu kurz. Diese Überzeugung erlangten wir noch stärker nach dem Abstieg über den eindeutig schöneren Südgrat, der in weiten Teilen genau den Geschmack des Karwendelfelsgehers trifft und auch weitgehend einer leichten Gratkletterei entspricht.

von links oben nach rechts unten im Vordergrund Großer u. Kleiner Lafatscher, im Hintergrund Kaskar- u. Sonntagskarspitze und die beiden Praxmarerkarspitzen, rechts das Zugspitzmassiv

von links oben nach rechts unten im Vordergrund Großer u. Kleiner Lafatscher, im Hintergrund Kaskar- u. Sonntagskarspitze und die beiden Praxmarerkarspitzen, rechts das Zugspitzmassiv

Die echten Kletterpassagen am Südgrat fallen im Abstieg gefühlt deutlich kurz aus, denn die meisten Höhenmeter werden auf den steil abwärts geneigten Steilstufenplatten der auffallend mächtigen Schichtung am Kleinen Bettelwurf gemacht, sodaß die Gratabbrüche an ihrer Spitze zwar nicht an der Vorderseite, aber nur knapp dahinter im oberen Teil durchwegs westseitig abgeklettert werden und der mächtigste aller, im untersten Teil – zunächst etwas schwer zu finden –  an dessen Ostseite über eine sehr scharfkantige, mit eigenartig rundlich geformten Oberflächen ausgestattete Verschneidung genommen wird.

Andi am beginnenden Südgrat

Andi am beginnenden Südgrat

Diese Passage ist höchstwahrscheinlich im Aufstieg in direkter Route zu ersteigen, soviel wir dann von unten sehen konnten. Nach der oben beschriebenen Rinne muß nämlich ein etwa knapp zehn Meter langes, abwärts geneigtes, brüchiges Band mit einer mittigen Schmalstelle begangen werden das wiederum, leicht abwärts geneigt, zum Gratverlauf hinaus führt. Im Aufstieg wird es eher gemieden, weil dort wegen der Felsgeometrie die unangenehme ausdrehende Körperhaltung erforderlich ist und auch, weil Griffe eher brüchig und spärlich sind.

schöne Passagen mit westseitigem Abklettern vom Grat

schöne Passagen mit westseitigem Abklettern vom Grat

Wieder am Grat angekommen befindet man sich auf der letzten großen Steilplatte und findet den von uns vergrößerten Steinmann auf der Spitze der leicht abschüssigen gestuften Platte, die den Auftakt zum letzten, besonderen Teil.

Rinne ostseitig im unteren Teil des Südgrates, Blick von oben

Rinne ostseitig im unteren Teil des Südgrates, Blick von oben

An dieser Stelle mußten wir länger innehalten um uns zu orientieren.
Die Routenbeschreibung sieht hier eine Rhythmusänderung vor (im Text in den Aufstieg versetzt: …der erste Gratabbruch wird an der W-Seite über schottrige Platten umgangen…).
Der Blick auf das Gelände unter uns zeigte auf der Ostseite das übliche Gelände in der Südflanke mit steilen, schuttbedeckten Platten und somit keine wirklich logische Weiterführung der Route, mittig am Grat den ungangbaren Steilabbruch mit dem extrem scharf werdenden unteren Teil und westseitig in sich übergehende extrem schuttbedeckte Platten, die seitlich des Grates eine variierende Breite von etwa drei bis sieben Meter aufwiesen.

Rinne ostseitig im unteren Teil des Südgrates, Rückblick von unten

Rinne ostseitig im unteren Teil des Südgrates, Rückblick von unten

Soviel wir auch nach Steinmandln östlich in Gratnähe suchten, wir konnten keine sichten. Also stellte sich eine etwa 30m lange prägnante Verschneidung westlich des Plateaus auf dem wir das Gelände erkundeten als einzig logische Verbindung zu den Schuttterassen „auf der W-Seite des ersten Gratabbruches“ und man konnte am Ende jener den „ersten Gratabbruch“ erkennen und die 90° Kurve nach Osten um den Gratabbruch herum erahnen, der am Ende des begrünten Rückens, wenige Meter neben dem Normalweg auf den Kleinen Bettelwurf auf diesen einmünden mußte.

Querung am Band nach der Rinne wieder zum Grat

Querung am Band nach der Rinne wieder zum Grat

Leider ist aber mit der Wendung auf die Westseite damit auch die aussichtsreichen Gratkletterei vorbei, führt doch die Rinne und dann die Schuttterassen etwa 10m unter dem Grat auf wenig sympathischem Terrain die letzten ca. 100Hm knapp neben dem schönen Grat im Schutt abwärts und man fühlt jähe, daß dieser Teil nicht so recht zum Kontext des bisher erlebten paßt.

unterstes Plateau nach Querung aus der Rinne

unterstes Plateau nach Querung aus der Rinne

Der Aufstieg muß daher – per aspera ad astra – umso schöner sein, wenn man vom tückisch rollenden Untergrund am Plateau oben dann in festen Fels einsteigt.

Gelände unterhalb des letzten Plateaus, der Normalweg ist nicht einmal mehr 100Hm entfernt

Gelände unterhalb des letzten Plateaus, der Normalweg ist nicht einmal mehr 100Hm entfernt

Nun, wir mußten uns mit der Natur der Sache abfinden und beschlossen, daß wir bei nächster Gelegenheit den Südgrat im Aufstieg erkunden wollen und vielleicht ergibt sich eine Möglichkeit, die Gratkletterei von ganz unten zu beginnen.

Andi beim Erkunden; diese Richtung entspricht nicht der Originalbeschreibung, wäre aber machbar gewesen

Andi beim Erkunden; diese Richtung entspricht nicht der Originalbeschreibung, wäre aber machbar gewesen

Im Abstieg neben dem Grat fanden wir noch eine, von oben aus schon gut sichtbare, kleine Scharte, von der aus wir die Ostseite des Grates erkunden konnten. Von dieser aus zeigt sich aber kein erstrebenswerterer Abstieg als die noch etwa drei Duzend Meter weiter zu findende Stelle – um den ersten Gratabbruch herum – an der man die 90° Kurve nach links auf den Normalweg hinaus queren kann.

dieser Abstieg muß jener der Originalbeschreibung sein

dieser Abstieg muß jener der Originalbeschreibung sein; in der Rinne bis zu den Schuttterassen abgestiegen

An dieser Stelle wäre ein Steinmandl mehr als angebracht, jedoch ließen sich nicht einmal Reste davon finden. Dieses wäre für den Aufstieg wichtig, da es exakt den Auftakt der Beschreibung des Führers bilden würde.

Blick über die geneigten Schuttfelder zum ersten Gratabbruch unten

Blick über die geneigten Schuttfelder zum ersten Gratabbruch unten

Die Vermutung liegt nahe, daß die Errichtung an dieser Stelle nicht erwünscht ist/war, da  eines Steinmandls möglicherweise unerfahrene Berggeher auf den Plan rufen würde ihm zu folgen und diese dann in Schwierigkeiten enden, die sie nicht mehr bewältigen können.
Wir haben jedenfalls keines aufgebaut, die Stelle ist für jenen, der den Südgrat probieren will und sich entsprechend vorbereitet und das Vermögen an Kletterkunst hat, leicht zu finden.

Blick über die geneigten Schuttfelder vom ersten Gratabbruch hinauf

Blick über die geneigten Schuttfelder vom ersten Gratabbruch hinauf

Am Normalweg angekommen wendeten wir uns zurück und betrachteten den schönen Abstieg, den schönen Südgrat.
Rückblickend muß festgestellt werden, daß unsere Abstiegsgeschwindigkeit am Grat trotz der nötigen Orientierung bei der Erstbegehung atemberaubend war. Verglichen mit der Abstiegszeit  vom Ostgipfel des Kleinen Bettelwurfs ist der Südgrat in geschätzt die Hälfte der Zeit abzusteigen. Kaum verwunderlich, steigt man doch großteils direkt am Grat und somit in der direkten Route bis auf das Ende der Wiesenhänge die von der Bettelwurfhütte heraufziehen.

Andi nach der 90° Kurve um den untersten Gratabbruch herum auf der Querung zum Normalweg

Andi nach der 90° Kurve um den untersten Gratabbruch herum auf der Querung zum Normalweg

am Ende der Wiesenhänge, rechts Normalweg, nach links geht es ab zum Südgrat

am Ende der Wiesenhänge, rechts Normalweg, nach links geht es ab zum Südgrat

Der Aufstieg kann für den geübten Karwendelgeher als ein kleiner Leckerbissen bezeichnet werden. Stellen im III. Grad sind durchaus vorhanden, schmales, abschüssiges und meist mit Schutt bedeckte Passagen am Grat sind nicht zu unterschätzen und der etwas abgelegene Westgipfel des Kleinen Bettelwurf lädt zu längerem Verweilen ein. Rundum, eine gelungene Alternative zum Normalweg, der sie für uns künftig sein wird.

Mils, 25.09.2016